Zwischen den Kreuzen

von Daniel Borgström
ZNet 31.08.2005
[Übersetzt von: Andrea Noll | Orginalartikel: Between the Crosses]


Das Marine Corps hat mich nicht nach Vietnam geschickt. Das ist der Grund, weshalb ich an einem Stück nach Hause kam - lebendig und ohne Behinderung. Ich reiste ein paar Jahre durch die Welt. Dann ließ ich mich nieder, um mich aktiv in die damalige Antikriegsbewegung einzubringen.

Es hätte auch anders kommen können. Wer sich freiwillig für solche Kriege meldet, bekommt manchmal, was er herausfordert. Seit Mai denke ich häufig an diese Dinge - seit ich eine Veranstaltung besucht habe, auf der Cindy Sheehan sprach. Sie ist die Mutter eines im Irak gefallenen GIs. “Ich muss versuchen, diesen Krieg zu stoppen, damit sein Tod einen Sinn bekommt”, so Sheehan. Ihr Sohn Casey ging in den Irak, weil er wohl glaubte, Teil einer Befreiungsarmee zu sein, sein Land vor Terroristen zu verteidigen und den Arabern die Freiheit zu bringen.

Vor 46 Jahren habe ich ziemlich ähnlich gedacht und bewarb mich für das USMC (United States Marine Corps). Natürlich kämpften wir damals nicht gegen den Terror. Aber als GI stand für mich fest, ich verteidige mein Land und unsere Freiheit - das und einiges mehr. In meiner Jugend hatte ich viele Bücher und Stories über den Zweiten Weltkrieg geschmökert: ‘Last Man off Wake Island’, ‘Guadalcanal Diary’, usw.. Ich will nicht behaupten, das seien alles schlechte Bücher, aber ich fiel auf jeden Militärmythos herein, den der Markt hergab.

4 Jahre aktiver Militärdienst folgten. Damals wurden noch relativ wenige GIs nach Vietnam geschickt. Bis Ende 1961 waren es 3 000, ein Jahr später 11 000. Ich hatte mich freiwillig nach Vietnam gemeldet - wie fast alle in meiner Truppe. Es gab nicht viele Kriegsschauplätze - und viel mehr Freiwillige als gebraucht wurden. Also schob ich 4 Jahre lang Wachdienst (damit beschäftigt, meine Schuhe für die nächste Inspektion zu polieren) oder Kantinendienst (die Armee nennt das “KP”), Dinge dieser Art.

1963 wurde ich aus dem Militärdienst entlassen. Erst zwei Jahre später stockte man die GIs in Vietnam auf mehr als Hunderttausend auf. Ich denke, ich habe meine zwei Jahre gut genutzt. Ich bildete mich fort, unternahm Reisen ins Ausland, kommunizierte mit Menschen in anderen Ländern, las Bücher. Und allmählich dämmerte es mir, unsere Regierung hat kein Recht, in Vietnam zu sein. Anders als früher, war ich nicht mehr bereit, mich freiwillig auf ein derartiges militärisches Abenteuer einzulassen. Ich kehrte nicht zu den Marines zurück.

Ich hatte einmal eine Fehlentscheidung getroffen, jetzt hatte ich eine zweite Chance. Ich bekam die Chance, mich neu zu entscheiden, und diesmal machte ich alles richtig. Ich weiß, es hätte anders laufen können. “Was wäre gewesen, wenn” - ein Gedanke, der mich verfolgt. Wäre mein Leben in etwas anderen Bahnen verlaufen, ich hätte mich vielleicht wieder zum Militär gemeldet, wäre nach Nam gekommen und getötet worden.

Am meisten erschüttert mich die Frage - sie traf mich wie ein Blitz, als ich Cindy Sheehan im vergangenen Mai zuhörte, wie sie sich für ihren KIA-Sohn einsetzte -, wäre ich damals in Vietnam gestorben, wer hätte für mich gesprochen?

Meine Mutter hätte mich nie ermutigt, zu den Marines zu gehen, aber sie akzeptierte meinen Wunsch. Unsere Haustür hatte eine Scheibe, auf die klebte sie den Sticker: ‘Mein Sohn ist ein Marine‘. Später tolerierte sie meine Ansichten gegen den Krieg zwar, aber sie unterstützte mich nie so wie damals. Meine Mutter hat immer republikanisch gewählt. Der Gedanke, dass sie unbeirrt weiter republikanisch gewählt hätte, auch wenn ich in Vietnam gefallen wäre, ist beunruhigend.

Vor kurzem bin ich auf ein Gedicht von John McCrae gestoßen - ein Soldat im Ersten Weltkrieg. Kurz nachdem er diese Zeilen schrieb - seine Kurzbotschaft an die Welt - ging sein Leben zu Ende.

“In Flanders Fields the poppies (Klatschmohn) grow Between the crosses (Totenkreuze), row on row”.

Ich machte mich auf ein pointiertes Antikriegsgedicht gefasst, stattdessen fährt McCrae in der dritten Strophe fort:

“Take up our quarrel with the foe (Führt unseren Streit mit dem Feind weiter)

Es ist eine Aufforderung. Wie konnte McCrae nur, denke ich. Dann kommt mir in den Sinn: Wären die Dinge für mich damals etwas anders gelaufen, ich hätte dieser Soldat sein können: ein Sterbender, der der Welt ein Gedicht hinterlässt, mit dem er andere aufruft, macht mit dem Sterben weiter. Und wozu? Für eine furchtbar miese Sache (ich kann dem Ersten Weltkrieg nichts Positives abgewinnen, was soll er Gutes gebracht haben? Millionen von Toten, nur, um Hitler, Mussolini und dem nächsten Krieg die Bühne zu bereiten).

Nicht jeder bekommt seine zweite Chance. Nehmen wir einmal an, ich hätte sie nicht bekommen. Wer hätte für mich gesprochen? Diese Woche las ich über Cindy Sheehan. Sie ist irgendwo da draußen, unter der sengenden Sonne von Texas und campt neben der Straße - auf Mr. Bushs Türschwelle sozusagen - und fordert Antworten.

“Ich möchte den Präsidenten fragen, warum haben Sie meinen Sohn getötet?” sagt Sheehan zu Reportern. “Er sagte, mein Sohn sei für eine noble Sache gestorben. Ich möchte ihn fragen, was für eine noble Sache war das?”

Immer mehr Menschen eilen nach Texas, um ihr bei ihrer Mahnwache zu helfen. Sie und die Mitglieder der Antikriegsbewegung sprechen für jene, die keine zweite Chance bekamen.

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